Einmal pädophil, immer pädophil

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Die Lust lässt Frank Denker nicht los. Er genießt es, in der Nähe von Kindern zu sein. Er spielt gerne mit ihnen. Unterhält sich gerne mit ihnen. Und er fasst sie gerne an. „Aber niemals sexuell“, sagt er. Von sich selbst behauptet er, seine Gelüste unter Kontrolle zu haben. Er weiß, dass es falsch ist, mit einem jungen Mädchen zu schlafen.

Dass sein wirklicher Name im Verborgenen bleiben soll, hat einen handfesten Grund: Frank Denker will sich schützen. Zu groß ist die Angst davor, von jemandem als pädophil erkannt zu werden. „Wenn das passiert, ist mein Leben vorbei“, sagt er. Ein Leben, das er sich in den vergangenen rund 50 Jahren aufgebaut hat.

 

Denker ist verheiratet, hat einen guten Job  und sogar Kinder, die mittlerweile erwachsen sind. Ob er jemals sexuelles Verlangen nach ihnen hatte, als sie noch klein waren? „Nein“, erzählt er nüchtern. Wohl aber nach anderen Mädchen, die er auf der Straße, im Schwimmbad oder bei Familienfeiern sieht. „Ich bin pädophil und das schon mein ganzes Leben. Auch wenn ich mir dessen erst seit gut 15 Jahren bewusst bin.“

Durch das kindliche Körperschema sexuell ansprechbar  sein – das ist es, was die Medizin unter Pädophilie versteht. Davon abzugrenzen ist die pädophile Präferenzstörung. Sie liegt vor, wenn die Ansprechbarkeit über einen längeren Zeitraum besteht, mit „sexuellen Fantasien, Impulsen oder Verhaltensweisen einhergeht und die betreffende Person darunter leidet“, erklärt Sexualtherapeutin Claudia Bitzmann. Sie arbeitet an der Uniklinik in Leipzig am bundesweiten Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ mit. Bitzmann behandelt Pädophile.

Claudia Bitzmann sitzt im Therapieraum der Leipziger Uniklinik und unterhält sich.
Claudia Bitzmann sitzt im Therapieraum der Leipziger Uniklinik und unterhält sich.

Vor elf Jahren wurde  das Projekt gegründet. In Deutschland bieten rund 30 Therapeuten an elf Standorten  Hilfe für schätzungsweise 250 000 Menschen an, die sich zu Kindern sexuell hingezogen fühlen. Die Leipziger Universität ist mit der Abteilung für Sexualmedizin seit fünf Jahren dabei und wird  vom Land Sachsen sowie der Stiftung „Hänsel + Gretel“ finanziert. Seit 2011 haben mehr als 500 Betroffene und Angehörige Kontakt aufgenommen. Die meisten kamen aus Mitteldeutschland. Die Uni nennt ihr Projekt „Dunkelfeld“ – angelehnt an den kriminalistischen Begriff, der Fälle beschreibt, die im Dunkeln bleiben.

Das Dunkelfeld bei Sexualdelikten ist hoch. Opfer schämen sich über das zu reden, was ihnen angetan wurde. Mit traumatischen Folgen wie lebenslangen Depressionen oder gestörtem Sozialverhalten. 13 760 Kinder wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik im vergangenen Jahr in Deutschland missbraucht.  Wie bereits  2013 und 2014 sind die Zahlen leicht zurückgegangen.

Pädophilie ist kaum erforscht

Auch wenn es Pädophilie schon bei den alten Römern gab, gezielt geforscht wird auf dem Gebiet erst seit wenigen Jahren.  „Wir haben nur wenige wissenschaftliche und aussagekräftige Studien, die wir heranziehen können“, sagt Bitzmann. Eine der Studien besagt beispielsweise, das etwa vier Prozent aller  Männer pädophile Neigungen haben. Wie hoch die Quote bei Frauen ist, lässt sich dagegen nicht einschätzen. Generell scheint es nur wenige pädophile Frauen zu geben. „Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass sich sexuelle Interessen von Frauen an Kindern anders ausdrücken könnten als bei Männern“, so Bitzmann. Eine Frau, die einen Jungen badet, wecke nicht so viel Aufsehen, wie ein Mann, der dasselbe tut.

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Die drei Achsen der Sexualität – solche Zeichnungen sind Teil der Therapie.

Frank Denker konnte seine Neigung bisher verstecken. „Oft bewundert man, wie gut ich mit Kindern klarkomme“, erzählt er. Bei Feiern ist er derjenige, der die Kleinen bespaßt, während die Eltern Ruhe von ihrem Nachwuchs brauchen. Das war schon immer so. Gedanken darüber, dass er pädophil sein könnte, kamen ihm erst mit Mitte 30. „Ich surfte auf Pornoseiten, als Bilder mit jungen Mädchen aufpoppten.“ Als er merkte, dass ihm die jungen Körper mehr gefielen als die erwachsenen, wurde Denker nachdenklich.  Er wird sich seiner Pädophilie bewusst, schaut sich Kinderpornografie an. Das macht er seit Jahren nicht mehr. „Weil ich dabei niemals ein Kind sah, das dieses wirklich von sich aus wollte.“

„Die Anzeichen für Pädophilie waren schon immer da, aber nicht auf sexueller Ebene, das kannte ich damals nicht.“ Da war zum Beispiel das Mädchen aus der vierten Klasse, das er als Neuntklässler begehrte. Er hatte immer Freundinnen, deren Körper mädchen- und nicht frauenhaft war. Darüber reden konnte er mit niemandem, nicht einmal engen Freunden. Es bestand immer die Gefahr, geächtet zu werden. Eine Therapie, in der er seine Identität preisgeben würde, schloss  er  deshalb kategorisch aus.

Der Therapieraum ist versteckt und karg ausgestattet. Hier gibt es regelmäßig Gruppensitzungen.
Der Therapieraum ist versteckt und karg ausgestattet. Hier gibt es regelmäßig Gruppensitzungen.

Bei Dunkelfeld versucht man, diese Anonymität zu wahren. Wo genau der Eingang zu dem karg ausgestatteten Raum ist, in dem sich regelmäßig Männergruppen treffen, erfahren nur die Betroffenen. „In der Therapie gilt  die ärztliche Schweigepflicht“, sagt Claudia Bitzmann. Bevor  es zur Einladung kommt, wird viel telefoniert. Nahezu das ganze Leben abgefragt. Wer schon einmal ein Kind missbraucht und seine Haftstrafe nicht abgesessen hat, darf an der kostenlosen Therapie nicht teilnehmen. „Einige Betroffene rufen an, wenn sie eine Straftat begangen haben. Aber dafür sind wir nicht da, diese Menschen müssen wir weiter vermitteln“, erklärt Bitzmann, die vorher im Strafvollzug  Sexualstraftäter  behandelt hat. „Das wollte ich aber nicht mehr, ich wollte daran arbeiten, dass Straftaten im Vorfeld verhindert werden“, sagt sie.

 

Doch wie viel Fantasie ist erlaubt? Im Internet gibt es einschlägige Plattformen, auf denen sich Pädophile austauschen. Geschützt durch die Anonymität des Internets sind viele Unterhaltungen öffentlich.  Strafbare, kinderpornografische Inhalte findet man dort nicht so leicht. Doch Profilbilder zeigen Kinder, darunter geben die Nutzer Alterspräferenzen an. Es bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn man sich dort hindurchklickt.

Wer sich in den Foren umschaut, stellt sich schnell die Frage: Sind Pädophile eine Gefahr für die Gesellschaft? „Sie sind nicht automatisch Straftäter, denn eine pädophile sexuelle Neigung führt nicht zwangsläufig zum Begehen sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche“, sagt Bitzmann.  Pädophile seien nicht gleich schlechte Menschen und Kinderschänder. Oft hätten sie sogar genau davor Sorge: Werde ich ein Straftäter, weil ich pädophil bin? Und wie kann ich das verhindern?

Im Girllover-Forum tauschen sich Pädophile über ihre sexuelle Neigung aus.
Im Girllover-Forum tauschen sich Pädophile über ihre sexuelle Neigung aus.

Frank Denker sagt von sich, dass er niemals übergriffig, niemals ein Straftäter werden würde. „Ich habe keine Angst davor, dass ich die Kontrolle verliere“, erzählt er. Aber ihm ist klar, dass andere Menschen vor ihm Angst haben. Dass sie glauben, er könnte seinen Wünschen nachgeben, die Kontrolle verlieren. „Und dann rücksichtslos Kinder für die Befriedigung meiner Wünsche benutzen“, sagt er.

„Ich habe keine Angst davor. Aber die anderen vor mir, weil sie zu wenig über meine sexuelle Neigung wissen.“

Bisher hat er nur seiner Frau von seiner Pädophilie erzählt. Und das auch erst nach vielen Ehejahren. Anfangs drohte die Beziehung daran zu zerbrechen, mittlerweile arrangieren sich beide damit. Frank Denker kann bei ihr so sein, wie er ist. „Würde ich Menschen aus unserem Bekanntenkreis aufklären, würden sie mir jegliches Vertrauen entziehen. Kinder, die ich so liebe, vor mir verstecken.“ Sein gesellschaftliches Leben wäre auf einen Schlag vorbei, das Leben seiner Familie zerstört. Die Pädophilie würde ihn beherrschen – nicht umgekehrt, so wie es jetzt ist.

Denker wünscht sich, dass er nicht aufgrund seiner Pädophilie vorverurteilt wird. Bitzmann sagt, dass bei fast jedem Pädophilen die Angst vor Ächtung die bestimmende ist. Beide sind sich einig: Damit sich das ändert, müsste es Akzeptanz in der Gesellschaft geben. Mitgefühl, aber kein Mitleid für die sexuelle Neigung, die sich Menschen nicht aussuchen können. Den Missbrauch von Kindern solle das aber nicht rechtfertigen.