Wenn aus Liebe Angst wird

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Er hat mich mitten in der Nacht aus dem Bett und ins Auto geschleift, ist mit mir in die Wüste gefahren, hat mir ein Messer  an den Hals gehalten und wollte von mir wissen, mit wem ich die Affäre habe, die es nie gegeben hat. In dem Moment habe ich gedacht ich sterbe, ich habe mein Leben an mir vorbeiziehen sehen.
Katharina*

Katharina (*Name geändert) ist geflohen. Vor ihrem eigenen Mann. Dem Mann, der sie über 14 Jahre lang terrorisiert, kontrolliert und immer wieder misshandelt hat. Viele Frauen brauchen lange, um ihren Partner zu verlassen. Weil sie Angst davor haben, plötzlich allein zu sein. Angst vor Rache. Angst vor dem Berg an Herausforderungen, den so eine Trennung mit sich bringt. Katharina hatte keine Angst davor, sie hatte nur vor einem Angst: ihrem Mann. Der Grund, warum sie so lang bei ihm geblieben ist, ist ein anderer. Sie war gefangen in einem fremden Land. Wie sie trotzdem die Flucht geschafft hat, erzählt sie im Video.

Ihre Flucht führte Katharina in das Frauenhaus in Halle. Dort fand sie Sicherheit und nach all der Zeit die Chance, ihr Leben neu zu ordnen. Das bedeute auch: Gerichtsverfahren, Umzug in eine neue Wohnung, die Suche nach einem Studienplatz.

Ich versuche, ins Leben zurückzufinden.
Katharina*

Insgesamt 691 Frauen suchten im Jahr 2015 – die aktuellsten Zahlen, die beim Justizministerium in Magdeburg verfügbar sind – Zuflucht in den Frauenhäusern des Landes. Auch 685 Kinder wurden aufgenommen. Im Schnitt brachte also jede Frau etwa ein Kind mit.

In der Polizeistatistik werden die Fälle häuslicher Gewalt unter dem Begriff „Gewalt in engen sozialen Beziehungen“ geführt. Darunter fallen etwa Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Einschränkungen der persönlichen Freiheit und Stalking. Genaue Zahlen darüber, wie viele Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden, gibt es nicht. 3.108 Fälle wurden im Jahr 2015 – so die aktuellsten Zahlen aus Magdeburg – zur Anzeige gebracht. Die Dunkelziffer aber ist unbekannt.

„Etwa jede vierte Frau, die in Deutschland lebt, ist mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden durch ihren aktuellen oder frühreren Partner geworden“, sagt Justizministeriumssprecher Detlef Thiel. „Gewalt gegen Frauen und Kinder ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung, die nicht hinnehmbar ist.“ Das Land wolle deshalb sicherstellen, dass Betroffene verlässliche Unterstützung erhalten. Im Jahr 2016 erhielten die Frauenhäuser vom Land insgesamt 1.346.300 Euro für Personal- und Sachkosten. Experten kritisieren dennoch seit Langem, dass die Finanzierung der Häuser auf Kante genäht sei. Im September 2016 beschloss der Landtag Sachsen-Anhalts, die Arbeit in den Frauenhäuser und Beratungsstellen langfristig zu sichern.

„Etwa jede vierte Frau, die in Deutschland lebt, ist mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner geworden.“
Justizministeriumsprecher Detlef Thiel

In Sachsen-Anhalt gibt es 20 Frauenhäuser. Wo die sich genau befinden ist geheim – damit die Frauen zur Ruhe kommen können und nicht plötzlich der Verlassene vor der Tür steht. Entschließt sich eine Frau, ins Frauenhaus zu gehen, landet sie zuerst in der Beratungsstelle ihrer Stadt. Das Hilfetelefon ist rund um die Uhr besetzt, die Mitarbeiterinnen arbeiten in Bereitschaft, können jederzeit in die Beratungsstelle kommen. Dort kann die Betroffene schildern, was passiert ist und die Mitarbeiterinnen erklären ihr, was das Frauenhaus für sie tun kann. Ob sie mehrere Wochen und Monate oder nur einen einzigen Tag bleibt, ist dabei egal. Auf die Entscheidung der Frau nehmen die Mitarbeiterinnen keinerlei Einfluss. „Es passiert aber schon, dass wir Frauen, die nach wenigen Tagen zu ihren Männern zurückgehen, immer wieder sehen“, sagt Kaiser.

Katja Kaiser ist Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauenhäuser in Sachsen-Anhalt, die die 20 Frauenhäuser in Sachsen-Anhalt miteinander vernetzt und betreut. Im Interview erklärt sie, wie Betroffene in ein Frauenhaus kommen können, was dort passiert und wie es für die Opfer häuslicher Gewalt weitergeht.

Wie kommen die Frauen ins Frauenhaus?
Kaiser: „In akuten Situationen rufen die Frauen uns an oder die Polizei oder das Krankenhaus schlagen ihnen vor, ins Frauenhaus zu gehen. Sie kommen dann erst einmal in unsere Beratungsstelle und von dort ins Frauenhaus. Dafür haben wir rund um die Uhr einen Bereitschaftsdienst, der den Frauen auch nachts hilft. In manchen Fällen planen die Frauen ihre Flucht aber auch und kommen ganz normal tagsüber zu uns.“
Wie lange bleiben die Frauen im Frauenhaus? Gibt es eine Obergrenze?
Kaiser: „Das bemisst sich immer am Bedarf: so lang, wie die Frauen eben brauchen. Im Durchschnitt bleiben sie drei Monate. Das ist ja auch die Zeit, die den Kündigungsfristen von Mietverträgen entspricht. Es gibt auch eine Obergrenze, die ist in der jeweiligen Hausordnung geregelt.“
Was kostet der Aufenthalt?
Kaiser: „Auch das ist von Haus zu Haus unterschiedlich. In Halle beispielsweise kostet die Unterbringung fünf Euro pro Nacht, für jedes Kind einen weiteren Euro. Kommt die Frau aber nicht aus Halle, sondern beispielsweise aus Merseburg, muss sie mehr zahlen, da für sie eigentlich das Haus in Merseburg zuständig ist. Wer Sozialhilfe bezieht, kann die Kosten zurückerstattet bekommen.“
Was passiert in dieser Zeit mit den Freunden, den Angehörigen, dem Arbeitgeber? Werden sie unterrichtet?
Kaiser: „Wir garantieren komplette Verschwiegenheit, kontaktieren auch das Jugendamt nicht automatisch. An Angehörige oder Arbeitgeber wenden wir uns nur, wenn die Frau das möchte. Auch Ämtern oder Behörden geben wir nur dann Auskunft, wenn die Frau zustimmt.“
Was passiert mit den Arbeits- oder Ausbildungsstellen, den Studienplätzen? Werden die Frauen freigestellt?
Kaiser: „Die Frauen gehen wie gewohnt jeden Tag auf Arbeit oder in die Uni. Wenn ihnen das in der Situation zu viel ist, müssen sie sich selbst um eine Freistellung kümmern.“
Wie wird gewährleistet, dass die Frauenhäuser sicher sind und niemand eindringen kann?
Kaiser: „Das legt jedes Haus für sich fest. Es werden zum Beispiel Schleusen verwendet, man kann also nicht einfach so durch die Eingangstür spazieren. In anderen Fällen sorgen Mauern, Zäune oder Kameras für Sicherheit. Außerdem gibt es gemeinsame Qualitätsstandards.“
Wie werden die Orte geheim gehalten?
Kaiser: „Dass die Standorte auch von den Bewohnerinnen geheim gehalten werden sollen, steht in den Hausregeln. Das funktioniert in der Regel auch. Um noch mehr Sicherheit zu gewährleisten, sollten die Häuser eigentlich alle fünf bis sieben Jahre umziehen. Das ist in der Realität aber unmöglich.“
Was passiert, wenn doch einmal der Mann einer Bewohnerin vor der Tür steht und Ärger macht?
Kaiser: „Dann wird die Polizei gerufen und der Mann erhält einen Platzverweis, je nach Situation auch eine Anzeige.“
Wie werden die Frauen auf das Leben außerhalb des Frauenhauses vorbereitet?
Kaiser: „Wir helfen den Frauen bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach Möbeln oder beim Stellen von Anträgen, etwa für Wohngeld. In unseren Beratungsstellen bieten wir auch eine Nachsorge an, viele Frauen nutzen diese zumindest in der ersten Zeit regelmäßig. Das ist sehr unterschiedlich: Manche Frauen brauchen wirklich nur für die Zeit der Trennung ein Dach über dem Kopf, andere benötigen wirklich ganz lange Beratung und Betreuung. Beides ist völlig okay. Einmal im Jahr veranstalten wir auch ein großes Sommerfest, zu dem alle ehemaligen Hausbewohner eingeladen sind.

Fest steht aber auch: Frauenhäuser sind keine Luxus-Hotels. Die Frauen sind in der Regel in kleinen Räumen untergebracht, ihre Kinder haben keine eigenen Zimmer. Eine eigene Küche, ein eigenes Bad gibt es oft nicht. Auch die Einrichtung ist meist spartanisch und zeigt die Jahre der Benutzung deutlich. Finanziert werden die Häuser von den Kommunen – und deren Finanzlage ist notorisch eher klamm. Lediglich das Haus in Magdeburg steht unter privater Verwaltung.

 

 

Wie wichtig die Arbeit der Frauenhäuser ist, steht außer Frage. Für Katharina war sie die Rettung, als sie keinen anderen Ausweg sah. Solange Männer gegenüber Frauen gewalttätig werden, werden auch die Frauenhäuser weiterhin notwendig sein.

„Der starke Mann ist stärker ohne Gewalt.“
Bertold Brecht