Kleine Dosis, große Wirkung

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Florian K. lebt ein turbulentes Leben – bis Crystal Meth in ihm eine Angst auslöst, die ihm den Boden unter den Füßen wegreißt.

Es ist noch dunkel an diesem Montagmorgen im Frühsommer 2016. Die Hände und Arme kribbeln. Er atmet schnell. Das Herz rast. Schweiß rinnt die Stirn hinunter. Die Finger von Florian K. klammern sich um das Lenkrad des Firmenwagens. Er ist gerade auf der Autobahn 38 unterwegs. Sein der Beifahrer: die Angst vor dem Tod. Bevor es zu einem Unfall kommt, lenkt der  30-Jährige den Wagen auf die rechte Seite, löst den Sicherheitsgurt, steigt aus und legt sich neben das Auto auf die Standspur. Was in diesem Moment mit ihm los ist, weiß Florian K.  nicht.  Noch nicht.

Die Abwärtsspirale beginnt  fünf Jahre zuvor. Mit 25 hat er zum ersten Mal Crystal Meth genommen, eine  synthetische Droge in Form von kleinen, weißen Kristallen. Florian K. hat sie   durch die Nase geschnupft,  rauchen oder spritzen ist auch möglich.
Durch seinen besten Freund ist Florian K. dazu gekommen, der habe das vorher schon zwei, drei Mal ausprobiert. „Ich habe mich einfach bequatschen lassen“, gibt er zu. „Da war die Neugier größer als die Vernunft.“ Das Gramm Crystal Meth kostet im Straßenhandel zwischen 80 und 200 Euro.  0,05 Gramm ist seine erste Dosis leicht – doch die Auswirkungen sind umso schwerwiegender.
Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, schildert Florian K. den Abend. „Nach einer halben Stunde habe ich ganz viel und ganz schnell geredet. Ich habe meinen Körper richtig gespürt, das war ein tolles Gefühl.“

„Da war die Neugier größer als die Vernunft.

Florian K.

Auf den ersten Blick ist Florian K. ein ganz normaler junger Mann: ehrgeizig, attraktiv,  Konstruktionsmechaniker hat er gelernt. Gelegentlich, alle paar Wochen schnupft der 30-Jährige Crystal Meth – aus Spaß. Das geht etwa drei Jahre lang so.   Doch dann brechen  Florian K.s Arbeitgeber die Aufträge weg.  Die Folge: Entlassungen. Auch Florian K. ist betroffen. Er geht zu einer anderen Firma und wird dort als Schweißer auf Montage beschäftigt. „Das war ein großer Schritt zurück auf der Karriereleiter“, sagt  er rückblickend. „Aber bevor ich arbeitslos wurde, habe ich lieber diesen Job angenommen.“ Zusätzlich belasten ihn Auseinandersetzungen mit seinem Bruder und seiner Mutter schwer. Das ist die Zeit, in der Florian K. in Crystal eine Art Zuflucht sucht.  Er merkt, wie ihm die Droge hilft. „Ich fühlte mich groß und stark, obwohl ich eigentlich zerrissen war.“ Weihnachten 2015 verbringt der gebürtige Thüringer ganz alleine. Seitdem, so schildert er, gibt es kein Wochenende mehr, an dem er die Droge nicht schnupft.

Florian K. erinnert sich genau an die Tage, die sein Leben auf den Kopf stellen. „Es war Samstagmorgen, da habe ich mit meinem Freund Crystal genommen.“ Es folgte eine wilde Partynacht. „Sonntag habe ich mich dann damit beschäftigt, welche Krankenversicherung für meine Selbstständigkeit geeignet ist. Schlafen musste ich bis dahin nicht.“ Auch die Nacht von Sonntag zu Montag macht er durch. „Ich musste noch Sachen packen und auf Montage. Also habe ich Montag früh das letzte mal etwas genommen“, sagt Florian K. Was folgt, ist der einschneidende Moment auf der Autobahn. Straßenwärter werden auf ihn, der regungslos auf der Straße liegt, aufmerksam. Ein Rettungswagen bringt ihn in ein Krankenhaus in Weißenfels.

Die Vergangenheit

Die Diagnose: Drogenindizierte Psychose. Eine psychische Störung, ausgelöst durch den Drogenmissbrauch.  Das, was der junge Mann im Auto gespürt hat, sind typische langfristige Symptome des Crystal-Konsums. Florian K. kommt in die geschlossene Psychiatrie nach Naumburg. „Ich hatte Angst, die Augen zu schließen, einzuschlafen, zu sterben. Mein Bett im Zimmer habe ich so gedreht, dass mich die Schwestern durch die Tür sehen konnten“, erklärt er. Er bekommt von Ärzten Beruhigungsmittel verabreicht, führt Gespräche mit Psychologen. Nach einer Woche verlässt er die Psychiatrie.

Die Gegenwart

Fünf Monate verbringt der 30-jährige Florian K. in der Barbarossa-Klinik in Kelbra, einer Fachklinik für Suchterkrankungen.  Die Psycho-, Physio- und Ergotherapien helfen ihm, mit seiner Angststörung umzugehen. „Im Moment ist meine größte Angst, dass ich nicht richtig schlucken kann, denn ich denke, dass auch mein Rachen stark beeinträchtigt wurde.“
Aber Florian K. hat einen ungebrochenen Willen, den richtigen Weg einzuschlagen. Der größte Fortschritt für ihn: „Ich träume wieder.“ Laut seines Therapeuten werden in Florian K.s Gehirn so Erlebtes und Traumata wieder besser verarbeitet.
Schritt für Schritt geht es dem  Thüringer besser. „Ich habe heute kein Bedürfnis mehr nach Crystal Meth“, erklärt er. „Den letzten Rest habe ich im Klo runtergespült, als ich zu Hause war.“ Er weiß, dass er nie wieder ohne die Angststörungen leben wird und dennoch: „Ich bin dankbar für meine Angst. Sie hat mir gezeigt, was Drogen anrichten können.“ Sein Respekt vor einem Rückfall ist groß.

Die Zukunft

Bis Ende  des vergangenen Jahres war er in  der Klinik in Kelbra in Behandlung. Nun möchte Florian K. ein neues Leben aufbauen. Zu dem Freund, von dem er das erste Mal die Drogen bekommen hat, gibt es keinen Kontakt mehr. „Er hat kein Verständnis für meine Situation, nimmt immer noch Drogen.“ Florian K. hingegen hat Zukunftspläne. Eine ambulante, psychologische Betreuung. Einen festen Wohnsitz haben. Eine Familie. „Für mich fängt jetzt ein neues Leben an.“

Vom Muskelkrampf zur Panikattacke

Sophie Elstner hat mit Susann Brendler, Suchtberaterin der Arbeiterwohlfahrt in Halle, über Crystal Meth und dessen Auswirkungen gesprochen.

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Susann Brendler, AWO-Suchtberatungsstelle Halle

Frau Brendler, welche Schäden bewirkt der Missbrauch von Crystal Meth?
„Crystal Meth, kurz Crystal, ist eine synthetisch hergestellte Droge. Die Wirkungsdauer ist abhängig von Dosis, Konsumform, Reinheitsgehalt und Konsumumgebung und kann zwischen vier und 30 Stunden anhalten. Die Substanz wird in unserer Gegend vorwiegend über die Nase konsumiert, kann aber auch geraucht, geschluckt oder injiziert werden. Konsumenten berichten von Euphorie und aufgeputscht sein, weniger Hemmungen, gesteigerter Leistungsfähigkeit (auch sexuell), und einem erhöhten Rede- und Kontaktbedürfnis. Es können aber auch Mundtrockenheit, Muskelkrämpfe, Tachykardie („Herzrasen“) oder Hyperthermie (Überwärmung des Körpers) auftreten. Langfristig zeigen sich Depressionen, Angstzustände, Psychosen und Persönlichkeitsveränderungen. Es kommt zu Schlafstörungen, Schädigungen der Zähne, Konzentrationsverlust, Hautinfektionen und einer erhöhten Gefahr für Infektionskrankheiten. Bereits nach wenigen Monaten des Konsums entsteht ein starker Konsumdruck, sodass es schnell vom Probier- zum Dauerkonsum kommt. Nach der abklingenden Wirkung haben Konsumenten häufig sehr lange, wenig erholsame Schlafphasen und Schwierigkeiten, Termine einzuhalten.“

Was kann man als Angehöriger eines Abhängigen tun?
„Wer den Verdacht hat, dass ein Verwandter oder Bekannter drogenabhängig sein könnte, sollte sich trauen, seine Beobachtungen und Gefühle ohne Beschönigung anzuprechen. Sachlich und freundlich, allerdings, ohne dabei Anschuldigungen zu machen. Man sollte Hilfe anbieten, aber kein Schuldeingeständnis abverlangen. Tolerieren muss man das Suchtverhalten trotz alledem nicht. Unabhängig von dem Betroffenen sollte man sich selbst nicht vergessen und sich eigene Ziele stecken. Angehörige können sich auch in den Suchtberatungsstellen informieren.“

Welche Hilfe kann man in Suchtberatungsstellen erwarten?
„Das Angebot der Suchtberatungsstellen wendet sich vorrangig an Suchtgefährdete, Suchtkranke und deren Angehörige. Aber auch Menschen, die Informationen und Beratung zu Suchtproblemen suchen, finden Rat in den Institutionen. Suchtberatungsstellen arbeiten vertraulich und kompetent bei Fragen zu Alkohol, den verschiedensten illegalen Drogen, Glücksspielsucht, Essstörungen, Medikamenten, exzessivem Medienkonsum und Verhaltenssüchten. Meist gibt es Einzel-, Paar- oder Familiengespräche. Einzelne Organisationen, wie etwa die AWO, bieten auch Online-Beratungsstellen an. Es können auch Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlungen vermittelt werden sowie ambulante Betreuungen nach der medizinischen Reha. Die Beratung findet so zeitnah wie möglich statt, ist kostenfrei und anonym. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.“

Hilfe gibt es bei folgenden Beratungsstellen:

Suchtberatungsstellen der Region (Auswahl)
Sozialtherapeutisches Wohnheim „Zum Waldblick“
Sotterhausen 9
06542 Allstedt/OT Sotterhausen
Tel.: 03464 27853
Internet: www.kontext-ilmenau.net

AWO Suchtberatung Halle
Trakehnerstraße 20
06124 Halle
Telefon: 0345 8057066
Internet: www.awo-halle-merseburg.de/suchtberatung

Sozial-psychiatrischer Dienst des Salzlandkreises 34 FD Gesundheit
06400 Bernburg
Tel.: 03471 684-1523
Internet: www.salzlandkreis.de

Sucht- und Drogenberatungsstelle DRK KV Bitterfeld e.V.
Straße der Jugend 16
06766 Bitterfeld-Wolfen
Tel.: 03494 20818 und 20819
Internet: www.drk-bitterfeld.org

DRK Sucht- und Drogenberatung, DRK Kreisverband Bitterfeld-Zerbst/Anh.
Wallstr. 23 a
06366 Köthen
Tel.: 03496 5099096
E-Mail: k.beutler@drk-bitterfeld.org

drobs Suchtberatungsstelle Sangerhausen
Bahnhofstraße 33
06526 Sangerhausen
Tel.: 03464/570108
Internet: www.drobs-msh.de/sangerhausen/sangerhausen.html

drobs Suchtberatungsstelle Eisleben
Markt 57
06295 Lutherstadt Eisleben
Tel.: 03475 7119952
Fax.: 03475 7119954
Internet: www.drobs-msh.de/eisleben.html

DRK Suchtberatung Nebra
Promenade 8
06642 Nebra Tel.: 034461 25635
E-Mail: suchtberatung.nebra@drk-naumburg.de

Arbeiter-Samariter-Bund Regionalverband Altkreis Quedlinburg e. V.
Psychosoziale Beratungsstelle -Sucht-
Neuer Weg 22/23
06484 Quedlinburg
Tel.: 03946 2695
Internet: www.asb-harzkreis.de

Kontext gGmbH Suchtbetreuungszentrum
Pfalzstraße 4-6
06258 Schkopau
Tel.: 0346 7402-0
Fax.: 0346 7402-22

DRK Weißenfels e. V. Sucht- und Drogenberatung
Leopold-Kell-Str. 27
06667 Weißenfels
Tel.: 03443 393740 393715
Internet: www.drkweissenfels.de

Suchtberatung des DRK Bitterfeld-Zerbst/Anhalt e. V.
Dornburger Platz 7
39261 Zerbst
Tel.: 03923 6135591
Internet: www.drk-bitterfeld.org