Vom Spiel mit der Angst

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Wenn sie singt, dann wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Mit sanfter, leiser Stimme – als würde eine Mutter ihr Kind in den Schlaf wiegen – singt die Morena ihre wehrlosen Opfer in den Tod. Und sie weiß schon, wer der nächste sein soll. Sie klingelt an der Tür.

Die Morena von Marco M. Weber: Eine Puppe aus Stroh. Foto: Nikta Vahid
Die Morena von Marco M. Weber: Eine Puppe aus Stroh. Foto: Nikta Vahid

Die Morena, die Marco M. Weber in den Händen hält, als er von seinem Projekt erzählt, singt nicht. Sie ist aus Stroh und dient dazu, sein Vorhaben zu veranschaulichen.  „Es fasziniert mich, dass jemand etwas so Gewaltsames wie den Tod durch etwas so Sanftes wie den Gesang hervorrufen könnte“, sagt er. Der Leipziger ist seit mehr als zehn Jahren als freischaffender Autor tätig und verfasst eigentlich Western-Heftromane. Nun will er nicht nur den Wechsel ins Filmbusiness schaffen, sondern auch einen Genre-Wechsel vollziehen – und anhand seines ersten Mystery-Kurzfilms lernen, wie Gruseln im Film eigentlich geht. Im Moment arbeitet er am Drehbuch. „Morena“ soll der Streifen heißen. Er basiert auf der gleichnamigen Figur aus der slawischen Mythologie: Schon in der Überlieferung singt die Todesbotin ihre Opfer in den Schlaf. Und noch heute existiert sie im Brauchtum.


Marco M. Weber erklärt die Figur „Morena“:

„Ich denke, dass die Welt mit mehr Wesen bevölkert ist, als wir glauben. Und ich bin versucht, mir vorzustellen, dass all die Sagen und Mythen nicht von irgendwoher kommen.“

Marco M. Weber

Es sei das Geheimnis, das ihn dazu antreibe, den Film zu drehen, sagt der Leipziger. Die Welt sei heutzutage so „entgeheimnist“ – das wolle er ändern. Sein Ansatz: Das Unerklärliche und Unvorstellbare soll seine Zuschauer zum Gruseln bringen. Menschen haben Angst, wenn sie Dinge nicht einordnen können, glaubt Weber. „In der Morena zeige ich eine Figur, bei der wir nicht abschätzen können, wohin sie steuert. Sie handelt bestimmt, aber wir können nicht ahnen, was sie als nächstes tun wird.“ Dazu bedient er sich eines erzählerischen Tricks: „Wenn du eine Figur etwa nicht antworten, sondern sie nur starren lässt, dann erregt das Furcht“, sagt der Regisseur. Daher lässt er seine Figur auch Dinge tun, die auf den ersten Blick nicht zu ihrem Vorhaben passen: „Wenn Morena jemanden mit dem Tod bedroht und gleichzeitig sanft singt, dann sind das Dinge, die nicht zusammengehören – und daher fast schon Hohn verströmen.“

Schon das Wesen der Morena ist völlig widersprüchlich. Ihre Absicht, nämlich das Töten ihres Opfers, kommt engelsgleich und mit liebevollem Gesang daher. Absicht und Handeln passen überhaupt nicht zusammen – und gerade deshalb wirkt die übernatürliche Kraft der Todesbotin so furchteinflößend.

So lässt Weber die Morena im Drehbuch stellenweise reglos starren, anstatt auf Fragen antworten. Obwohl in diesem Moment noch nichts Grauenvolles passiert, ahnt der Betrachter, dass die Szene nicht gut ausgehen kann.

„Was hinter der Tür oder am Ende der Treppe lauert ist niemals so schrecklich wie die Tür oder Treppe selbst“, das sagte schon der Horror-Meister Stephen King. Dieses Phänomen bezeichnet der Mainzer Filmwissenschaftler Bernd Zywietz auch als Katze im Schrank: „Man erwartet, erschreckt zu werden und diese Vorerwartung ist manchmal schlimmer als das, was letztendlich passiert“, sagt er. Das vermeintlich schaurige Geräusch entpuppt sich beim Öffnen der Tür als eingesperrte Katze, die sich zu befreien versucht. Der Weg bis zum Öffnen der Tür ist das eigentlich Quälende.

Wenn Marco M. Weber seine Morena die Türschwelle überschreiten lässt, dann tritt sie gleichzeitig in den Bereich ein, in dem sich der Mensch am sichersten wägt: sein Zuhause. „Genau dort soll sie Unruhe stiften, weil das der Moment ist, in dem wir am Angreifbarsten sind“, sagt Weber.

„Das Unsichere muss in etwas kommen, das uns Sicherheit verspricht.“

Marco M. Weber

Dieser Ansicht bediente sich schon Horrorfilm-Meister Alfred Hitchcock in seinem Klassiker „Psycho“. So hält sich das Opfer Marion Crane zwar nur in einer Art temporärem Zuhause auf – ihrem Hotel – doch sie wird in einem intimen Moment ermordet, in dem sie sich absolut sicher vermutet: unter der Dusche. Fast jeder kennt die Szene: Hinter dem Duschvorhang sieht der Betrachter den sich nähernden Schatten des Mörders, er erkennt seine Umrisse und auch das Messer in seiner Hand. Marion Crane aber sieht ihn nicht. Hinterlegt hat Hitchcock die Szene mit schriller Geigenmusik, die in die Filmgeschichte eingehen sollte. Der Zuschauer weiß in diesem Moment mehr als die Figur im Film, bekommt Angst – obwohl in keiner Sekunde zu sehen ist, wie das Messer in den Körper der nichts ahnenden Marion Crane gerammt wird.


Erläuterungen zu Hitchcocks Duschszene (engl.):

Wer zeitlebens Horrorfilme gesehen hat, mag angesichts dieser Szene womöglich nur noch müde lächeln. Die Art, Angst zu machen, veraltet schnell, sagt auch Filmwissenschaftler Bernd Zywietz. Deswegen werde der zeitgenössische Horrorfilm auch immer brutaler und blutiger. Der Film „Saw“ etwa sei eines der ersten Beispiele für den sogenannten Torture Porn – ein Genre, das zeigt, wie Menschen aufs Übelste malträtiert werden.

Gewalt und blutige Exzesse sind nichts für den jungen Leipziger Filmemacher. Er bevorzugt eine elegantere Art des Gruselns und widmet sich dem Mystischen, Dämonen und dem Unglaublichen. Denn er will nicht mit spritzendem Blut und Kettensägen Horror erzeugen, sondern vielmehr durch all das Geheimnisvolle, das mit den Ängsten vor dem Unerklärlichen spielt. „Das kann die Kunst doch: Uns auf Wege führen, die wir eigentlich nicht gehen sollten“, sagt der Mittdreißiger. In einer Gesellschaft, die meint, schon alles gesehen zu haben und sich alles erklären zu müssen, liegt vielleicht gerade im Unerklärlichen der nächste Kick.


Marco M. Weber liest aus seinem Drehbuch:

 

Positive Stressgefühle

Läuft ein Horrorfilm, können viele nicht wegschauen, obwohl sie genau wissen, dass sie sich fürchten werden. Warum das sogar gut sein kann, erklärt Bernd Leplow, Leiter des Institutes für Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Auf die vermeintliche Angst folgt nämlich die Belohnung: Wir überwinden unsere Furcht vor dem Horrorfilm – und können uns nach getaner Arbeit auf die Schulter klopfen. Wenn wir uns einen Gruselfilm ansehen, dann begeben wir uns in eine positive Stresssituation – den sogenannten Eustress.


Psychologe Bernd Leplow erklärt den Kick des Horrorfilms:

Das Bedürfnis nach dem Kick steckt in allen von uns, nur holen wir ihn uns auf unterschiedliche Weisen. Der eine in der Achterbahn, der andere im Gruselkino, der Dritte beim Extremsport. Auch unterschiedliche Sozialisation spielt eine Rolle – genauso wie die Fähigkeit zur Empathie. Wer merkt, dass ihn die Geister aus dem Horrorfilm vom Vorabend nächtelang nicht schlafen lassen, muss sich nicht gleich für den größten Angsthasen halten – er sei einfach nur besonders empathisch, sagt Bernd Leplow.