Angst vorm Alter(n)

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Fototermine, Parties, Auftritte im Mittelpunkt des Geschehens. Christiane Henschel ist das Leben im Scheinwerferlicht gewöhnt. Die 35-Jährige ist als Model und DJane weltweit tätig und seit 2004 in verschiedenen europäischen „Playboy“-Magazinen zu sehen. Der Druck der Branche spielt eine wesentliche Rolle in ihrem Leben. Henschel hat Angst vor dem Altern und nimmt daher große Mühen auf sich.

„Ich habe es nicht gebraucht, aber ich wollte es unbedingt.“
Christiane Henschel

Mit 15 beginnt sie,  regelmäßig in Fitnessstudios zu trainieren. Mit 24  hat die  Leipzigerin zum ersten Mal eine Schönheitsoperation an sich vornehmen lassen, eine Brustvergrößerung. „Viele meiner Freundinnen haben damals etwas machen lassen. Das war für mich ein Ausprobieren im jugendlichen Alter. Ich habe es nicht gebraucht, aber ich wollte es unbedingt.“ Der sie behandelnde Schönheitschirurg Ziyad Al-Chiriki aus Leipzig berate sie bei ihren Wünschen oft auch kritisch.  Bei ihrer zweiten Brustvergrößerung habe Al-Chiriki vorhergesagt, dass ihr die Veränderung irgendwann nicht mehr gefallen werde. Sie wollte es trotzdem. „Er hatte recht, zehn Jahre später möchte ich meine alte Körbchengröße gerne zurück“ sagt Henschel mittlerweile. Augenbrauen, Wimpern, Lippen – In einigen Bereichen ist es damals wie heute für sie selbstverständlich, fachmännisch nachhelfen zu lassen.

 

So ist Christiane Henschel im Playboy zu sehen. Bild: Tom Frey für Playboy

 

In einem Experiment haben wir Christiane Henschel den Spiegel der Zeit vorgehalten. Mit einem aufwendigen Umstyling, das sowohl Haare und Make-up als auch Kleidung berücksichtigte, haben wir das Model um gut dreißig Jahre altern lassen. Ihre Reaktionen reichten von Staunen bis Schock. Sätze wie „Hoffentlich sehe ich nie so aus“ sind gefallen. Anfreunden kann sie sich mit ihrem „älteren Ich“ wohl nicht.

 

 

Deutsche sind op-spitzenreiter in europa

Der Blick auf die Schönheitschirurgie hat sich in den vergangenen 20 Jahren geändert. Die Zahl der operativen Eingriffe in dem Bereich steigt. 2015 waren es zehn Prozent mehr als im Vorjahr, wie die Statistiken der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) belegen. An der Spitze stehen bei Frauen immer noch Brust-OPs. Bei Männern und Frauen insgesamt liegen jedoch Fettabsaugungen auf Platz eins der am häufigsten vorgenommenen schönheitschirurgischen Operationen in Deutschland. Männer werden  immer häufiger zu Patienten in plastisch-chirurgischen Kliniken. Deutschlandweit liegt der Schnitt bei zwölf  Prozent. Tendenz steigend. Gefragt sind bei Männern aktuell vor allem Oberlidstraffungen.

 

Die fünf häufigsten Schönheitsoperationen bei Männern und Frauen im Jahr 2015.

 

In Deutschland wurden im Jahr 2015 laut statista.com etwa 308.300 Schönheits-Operationen durchgeführt. Damit liegen die Deutschen auf Platz acht weltweit, in Europa sind sie mit diesem Wert Spitzenreiter. Die Tabelle führen die USA mit 1,4 Millionen und Brasilien mit 1,2 Millionen Schönheitsoperationen jährlich an.

 

Die Atmosphäre von Schönheitskliniken ist längst nicht mehr klinisch und unpersönlich. Stilvoll eingerichtete Zimmer mit Flachbildfernsehern und hauseigene Wellness-Bereiche sollen den  Patienten  den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten. „Man bekommt das Gefühl vermittelt, so eine OP gleiche einem Spaziergang. Es gibt nur wenige Risiken und man ist schnell wieder fit“ , sagt Henschel. Ihren beiden Brust-OPs folgten Laserbehandlungen im Gesicht,  Lidstraffung sowie zahlreiche Faltenunterspritzungen. „Mit einem attraktiven Äußeren fühlen wir uns glücklicher und treten selbstbewusster auf. Das merkt man auch im Berufsleben“, sagt Al-Chiriki.

„Unsicheren oder psychisch labilen Patienten raten wir von einem Eingriff ab.“
Ziyad Al-Chiriki

Wenn Schönheitstrends in den Medien beworben werden, steige auch in  seiner Praxis die Nachfrage.  Zum Beispiel sei  „asiatisch“ gerade modern, weshalb immer mehr Patienten eine Lidkorrektur wünschten. „Unsicheren oder psychisch labilen Patienten raten wir von einem Eingriff ab. Man muss voll überzeugt davon sein“, sagt der Syrer aus täglicher Erfahrung. Das bestätigt auch Henschel: „Man muss sich im Vorfeld immer fragen, warum man das möchte. Ich würde mich niemals verändern, um einem anderen Menschen zu gefallen“. Heute sieht sie einige Entscheidungen allerdings in einem anderen Licht: „Erst jetzt habe ich das Bewusstsein für einen schönen Frauenkörper.“  Nach der Geburt ihrer Tochter vor fünf Jahren hat sie innerhalb weniger Wochen wieder ihr vorheriges Gewicht  erreicht. Mit ihrem Hobby, dem Pferdesport, und dem Kinderbetreuungsangebot ihres Fitnessstudios.

was bedeutet altern?

„Es herrscht ein Jugendwahn in unserer Gesellschaft.“
Andreas Simm

Mit ihren Ansichten zum Altern ist Henschel nicht alleine. Alternsforscher Andreas Simm von der Universität Halle weiß: „Viele Deutsche versuchen, das Altern zu verdrängen. Es herrscht ein Jugendwahn in unserer Gesellschaft. Man möchte  möglichst lange jugendlich erscheinen“.

Was Altern bedeutet, erklärt der Experte anhand typischer Signale. „Man bekommt mehr Falten und graue Haare, die Sinnesorgane sind nicht mehr so leistungsfähig, die motorischen Fähigkeiten und die Belastungsfähigkeit nehmen ab“, sagt Simm.“ Alterung sei oft auch stressbedingt. „Es gibt 30-Jährige, die plötzlich schlohweiße Haare bekommen und trotzdem 90 Jahre alt werden“, sagt der Experte.

Es sind eher die körperlichen Einschränkungen, die Christiane Henschels größte Angst vorm Altern darstellen. Das merke sie besonders im Umgang mit ihrer Großmutter, bei der sie sich oft in Geduld üben muss. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen,  mich nicht mehr so bewegen zu können, wie ich es jetzt kann. Ich liebe Sport“, sagt die Leipzigerin.

Wie es sich anfühlt, körperlich zu altern, hat MZ-Reporterin Julia Klabuhn in einem Selbsttest am eigenen Leib erfahren wollen. Mit einem „Age Explorer“, einem Altersanzug, der die Veränderung der Sinnesorgane im Alter simuliert, werden die Hürden des Alltags verdeutlicht.

 

deutsche werden immer älter

Studien belegen, dass jeder dritte Deutsche in 40 Jahren um die 65 Jahre alt sein wird. Zudem soll der Bevölkerungsrückgang bis 2060 in Ostdeutschland 37 Prozent betragen. „Die Lebenserwartung in Deutschland steigt jährlich noch immer um zwei bis drei Monate“, sagt Alternsforscher Andreas Simm. Das sei nicht überall so. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Altern und seinen Erscheinungen und kann daher auch Vergleiche zu anderen Ländern anstellen: „In Ländern wie den USA ist mit keiner steigenden Lebenserwartung zu rechnen. Dort haben sich die Ernährungsgewohnheiten stark verändert, es kommt immer häufiger zu Krankheiten wie Diabetes oder einem extrem hohen Body-Mass-Index (BMI)“, sagt Simm. Ein anderes Extrem sei Russland. „Dort ist die nicht weiter steigende Lebenserwartung auf den hohen Alkoholkonsum zurückzuführen.“

Die Kluft zwischen Überalterung und Abwanderung sorgt besonders in ländlichen Regionen zu Problemen im Gesundheits- und Sozialsystem. Diese Probleme sind auch in Sachsen-Anhalt spürbar. Forscher und Politik erarbeiten bereits Lösungen, um dem entgegenzuwirken. Schwerpunkte sind dabei vor allem die Gesundheitsversorgung der alternden Bevölkerung und die Anbindung dünner besiedelter Regionen an die Ballungszentren der Bundesländer. Andreas Simm und sein Team erforschen, wie man erreicht, länger in einem guten körperlichen und geistigen Zustand zu altern.

Im Vordergrund der Angst der Deutschen stünden weniger Herz-Kreislauferkrankungen und Tumore. Die Angst vor ungewissen Erkrankungen wie Demenz hat laut Simm zugenommen. Das liege auch an der größeren Aufklärung durch mediale Berichterstattung beispielsweise.

ALTER BEDEUTET ERFAHRUNG

Christiane Henschel betrachtet die Schönheitsindustrie ihrer Aussage nach realistisch und geht mit ihrem optischen Erscheinungsbild offen um: „Natürlich weiß ich, dass es Gegner davon gibt. Ich mache mich auch nicht davon frei, dass meine Definition von Schönheit durch die Medien geprägt ist.“ Schönheit ist Henschels Kapital. Doch darauf möchte sie sich nicht verlassen. Zusätzlich zu Familienleben, Modeljobs und Gesangskarriere hat sie vor einigen Jahren die Hürden eines Studiums auf sich genommen. Mit Erfolg. Nur gut auszusehen reiche ihr nicht. „Wissenschaftliches Arbeiten befriedigt mich mehr, als in einem kurzen Kleidchen umwerfend auszusehen.“  Mit dem Uni-Abschluss in Kommunikationswissenschaften möchte sie sich für die Zukunft absichern. Alter habe für sie auch etwas mit Bildung, Lebenserfahrung und dem Verständnis der Zusammenhänge des Lebens zu tun.  Das bekomme man eben erst, wenn man älter sei.

 

HILFREICHE LINKS

Der Deutsche Ärzte Service informiert, was man im Vorfeld einer Schönheitsoperation beachten sollte.

Zahlen und Statistiken sowie aktuelle Neuigkeiten zu Schönheitsoperationen gibt es beim Verband der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Schönheitschirurgen.

Auf der Seite der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen sind alle eingetragenen Ärzte gelistet, die Schönheitsoperationen vornehmen dürfen. Geschützt sind nur die Bezeichnungen „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ oder „Facharzt für Plastische Chirurgie“.

Auskunft über eine geeignete ärtzliche Beratung beim Wunsch nach körperlicher Veränderung gibt es hier (Tipps zur Arztwahl von mybody.de)